Nordsee-Konferenzen Mai/Juni 1995

Am 22., 23. und 25. Mai 1995 erschien in den „Bre­mer Nach­rich­ten“ fol­gen­de drei­tei­li­ge Hin­ter­grund-Serie zur bevor­ste­hen­den 4. INK in Esbjerg sowie zur (weni­ge Tage zuvor) abge­hal­te­nen zivil­ge­sell­schaft­li­chen Gegen-Tagung „Nord­see ist mehr als Meer!“.

Teil 1: Nord­see-Poker – vier­te Runde

Bre­men. „Es gibt nichts Rich­ti­ges im Fal­schen.“ – Unter die­ses Mot­to, ein Zitat des Phi­lo­so­phen Theo­dor W. Ador­no, hat das in Bre­men resi­die­ren­de Umwelt­schüt­zer­bünd­nis „Akti­ons­kon­fe­renz Nord­see“ (AKN) sei­ne Aus­ein­an­der­set­zung mit den in die­sem Früh­jahr wie­der ein­mal regie­rungs­amt­lich ver­han­del­ten Kon­zep­ten zum Schut­ze der Nord­see gestellt. Zwei­mal ist das „Meer vor unse­rer Haus­tür“ in den nächs­ten drei Wochen The­ma inter­na­tio­na­ler Kon­fe­ren­zen: Kom­men­des Wochen­en­de fin­det in Bre­men der AKN-Kon­gress „Nord­see ist mehr als Meer“ statt, zwei Wochen spä­ter tagt im däni­schen Esbjerg die vier­te „Inter­na­tio­na­le Nord­see­schutz-Kon­fe­renz“ (INK) der Umwelt­mi­nis­ter der Nordseeanrainer.

In Bre­men hat alles ange­fan­gen: 1984 hat­te der dama­li­ge Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Zim­mer­mann, zustän­dig auch für Umwelt­po­li­tik, sei­ne Fach­kol­le­gen der ande­ren Nord­see-Anlie­ger­staa­ten ein­ge­la­den, um erst­mals im Rah­men einer INK über Fra­gen des Nord­see­schut­zes zu bera­ten. Die Pla­nung die­ser Kon­fe­renz hat­te aber auch die Umwelt­schüt­zer auf den Plan geru­fen. Trotz erheb­li­cher Kom­pe­tenz aus­ge­grenzt aus den poli­ti­schen Bera­tun­gen der Minis­ter, mobi­li­sier­ten sie zur ers­ten „Akti­ons­kon­fe­renz Nord­see“, von der aus sie der INK ihre For­de­run­gen prä­sen­tier­ten. Die Über­ga­be ihrer Reso­lu­ti­on gestal­te­te sich akti­ons­reich, wes­halb Zim­mer­mann „sei­ne“ Kon­fe­renz unter star­kem Poli­zei­schutz durch­füh­ren ließ.

Seit 1984 sind die drei Buch­sta­ben INK zum Inbe­griff eines Ritu­als gewor­den, des­sen Auf­wand nach Ansicht von Nord­see-Exper­ten unter­schied­lichs­ter Rich­tun­gen in kei­nem Ver­hält­nis zu den jewei­li­gen Ergeb­nis­sen stand und steht. 1987 tra­fen sich die Umwelt­mi­nis­ter zur zwei­ten INK in Lon­don, 1990 zur drit­ten Run­de in Den Haag.

Jedes­mal wur­den umfang­rei­che Beschluss­entwürfe und Fach­gut­ach­ten vor­ab in jah­re­lan­ger Vor­be­rei­tung von natio­na­len Exper­ten oder auf Staats­se­kre­tärs­ebe­ne ver­han­delt, wur­den Sach­for­de­run­gen durch Vetos ein­zel­ner Staa­ten oder Lob­by-Orga­ni­sa­tio­nen auf­ge­weicht und zurecht­ge­bo­gen. Die INK-Beschlüs­se waren oft schon bei ihrer Bekannt­ga­be Maku­la­tur – sei es, dass sie aus öko­no­mi­schen oder poli­ti­schen Grün­den auf die öko­lo­gisch gebo­te­ne Kon­se­quenz ver­zich­te­ten, sei es, dass sie die nöti­ge Ent­schlos­sen­heit zwar for­mu­lier­ten, die Umset­zung aber durch Fuß­no­ten einschränkten.

Es gibt nichts Rich­ti­ges im Fal­schen“ – das ent­schei­den­de Man­ko aller INKn ist nach Ansicht von Nord­see­schüt­zern ihr Ansatz, wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se nicht zum zwin­gen­den Anlass poli­ti­schen Han­delns, son­dern zum Gegen­stand zähen Pokerns zu machen. Nicht der ange­streb­te Zustand des Öko­sys­tems Nord­see war und ist Maß­stab der INK-Bera­tun­gen, son­dern die Emp­find­lich­kei­ten ein­zel­ner Länder.

Und das wirt­schaft­li­che Inter­es­se: Ursa­che aller INK-Akti­vi­tä­ten war der Ende der sieb­zi­ger Jah­re unüber­seh­bar gewor­de­ne bedroh­li­che Zustand der Nord­see als Müll­kip­pe Euro­pas. Wo den einen die Fort­set­zung einer bil­li­gen Abfall­ent­sor­gung reiz­voll scheint, wol­len die ande­ren aus der Ex-und-Hopp-Men­ta­li­tät ein zukunfts­träch­ti­ges und tech­no­lo­gie-ori­en­tier­tes Geschäft machen, das sich „nach­sor­gen­der Umwelt­schutz“ nennt. Da kann man sich über Details zwar treff­lich strei­ten, letzt­lich aber bleibt alles beim alten: Am Ende einer INK wird nur beschlos­sen, was kei­nen der Teil­neh­mer ver­prellt. Das Prin­zip Einig­keit ist ein so star­ker Trumpf, dass es sogar die Sach­fra­gen aussticht.

Einig­keit zunächst auch auf der „ande­ren“ Sei­te: Im Vor­feld der gegen die ers­te INK in Bre­men gerich­te­ten AKN hat­ten sich 1984 alle deut­schen und eini­ge inter­na­tio­na­le Natur- und Umwelt­schutz­ver­bän­de und Bür­ger­initia­ti­ven auf ein gemein­sa­mes Vor­ge­hen geei­nigt. Das allein war zu dama­li­ger Zeit eine klei­ne Sen­sa­ti­on (und ist es bis heu­te): Eifer­süch­te­lei­en und Pro­fi­lie­rungs­wün­sche wur­den zumin­dest vor­über­ge­hend zurück­ge­stellt – um der gemein­sa­men Sache wil­len. Ein Koor­di­na­ti­ons­aus­schuss mit Ver­tre­tern aller betei­lig­ten Orga­ni­sa­tio­nen berei­te­te die AKN vor und führ­te sie auch erfolg­reich zu Ende. Das Kon­fe­renz-Ergeb­nis, das soge­nann­te „Nord­see-Memo­ran­dum“, ist – 1989 ein­mal über­ar­bei­tet – bis heu­te ein bei vie­len Exper­ten geach­te­tes Doku­ment; es ist aber in sei­nen Fak­ten lei­der auch bis heu­te aktuell.

Nach der AKN brach das Bünd­nis der Ver­bän­de als­bald aus­ein­an­der. Im Früh­jahr 1985 grün­de­ten Ein­zel­per­so­nen aus Bür­ger­initia­ti­ven, aber auch aus dem ehe­ma­li­gen Koor­di­na­ti­ons­aus­schuss in Bre­men einen ein­ge­tra­ge­nen Ver­ein unter dem Namen „Akti­ons­kon­fe­renz Nord­see“. Sei­ne poli­ti­sche Grund­la­ge: das Nord­see-Memo­ran­dum und der den Minis­tern über­ge­be­ne For­de­rungs­ka­ta­log. Sein Ziel: als Koor­di­na­tor zwi­schen den gro­ßen Umwelt­ver­bän­den mit ihrer Auf­ga­ben-Viel­falt Nord­see­schutz-Akti­­vi­tä­ten zu bün­deln – ein nicht immer leich­tes Vor­ha­ben, denn Eifer­süch­te­lei­en gibt es unvermindert.

Immer­hin konn­te die AKN ein wich­ti­ges Man­dat gewin­nen und bis heu­te behaup­ten: Sie ver­tritt die ande­ren deut­schen Ver­bän­de auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne in dem 1989 gegrün­de­ten und in Ams­ter­dam ansäs­si­gen Bünd­nis „Seas At Risk“ (SAR), dem Umwelt­or­ga­ni­sa­tio­nen aus allen Nord­see­an­lie­ger­staa­ten ange­hö­ren. Und weil sich auch das poli­ti­sche Euro­pa in den elf Jah­ren „seit Zim­mer­mann“ wei­ter­ent­wi­ckelt hat, genie­ßen die SAR-Exper­ten heu­te bei allen INK-Vor­be­rei­tungs­sit­zun­gen Beob­ach­ter­sta­tus – eben­so wie alle wich­ti­gen Indus­trie- und ande­re Lobbyverbände.

Das bedeu­tet zwar, dass die Umwelt­schutz­sei­te heu­te kon­ti­nu­ier­lich ein­ge­bun­den ist in die Aus­ein­an­der­set­zun­gen der Nord­see­an­rai­ner-Regie­run­gen. Am grund­le­gen­den Pro­blem aber hat das nichts geän­dert: Nach wie vor ist es nicht Auf­ga­be der INKn, die Nord­see zu schüt­zen, son­dern nur, die Nut­zung des Mee­res in viel­fäl­ti­ger Form neu zu orga­ni­sie­ren. Und das auch noch unver­bind­lich: Denn der INK-Appa­rat fasst kei­ne völ­ker­recht­lich ver­bind­li­chen Beschlüs­se, die ein­klag­bar wären. Viel­mehr han­delt es sich immer nur um poli­ti­sche Wil­lens­be­kun­dun­gen der Minis­ter, die im jeweils eige­nen Kabi­nett erst durch­ge­paukt wer­den müs­sen – oder auch nicht. Was dabei nicht durch­setz­bar ist, unter­bleibt ein­fach und wird bei der nächs­ten INK erneut ver­han­delt. Oder ver­tagt – wie schon gesagt, das „Nord­see-Memo­ran­dum“ der Umwelt­schüt­zer ist lei­der unver­min­dert aktuell…

Teil 2: „Schne­cke mit Rückwärtsgang“

Bre­men. (um Vor­spann gekürzt)

Eine „Schne­cke mit Rück­wärts­gang“ sei der minis­te­ri­el­le Nord­see-Schutz, pole­mi­sier­te das in Bre­men ansäs­si­ge Umwelt­schüt­zer-Bünd­nis „Akti­ons­kon­fe­renz Nord­see“ (AKN) schon vor Jah­res­frist. Über die inter­na­tio­na­le Föde­ra­ti­on „Seas At Risk“ (SAR) als Beob­ach­ter ein­ge­bun­den in die INK-Vor­be­rei­tung, wuss­te die AKN bereits damals zu pro­phe­zei­en, dass von Esbjerg kei­ne wirk­li­chen Fort­schrit­te zu erwar­ten sein würden.

Same pro­ce­du­re as every year“ – for­mal wird die vier­te INK in etwa so ablau­fen wie ihre drei Vor­läu­fer. Den Minis­tern liegt der Ent­wurf einer Schluss­de­kla­ra­ti­on vor, über die Beam­te und Exper­ten schon Jah­re ver­han­delt und gefeilscht haben. In die­ser Dekla­ra­ti­on ist wie­der die Rede von „gefähr­lichen Stof­fen“ – gemeint ist die Che­mi­ka­li­en-Viel­falt unse­rer Indus­trie­ge­sell­schaft –, von Nähr­stof­fen – vor allem Phos­pha­te und Nitra­te –, von Risi­ken durch Schiff­fahrt, Öl- und Gas­su­che, Fische­rei, Radioaktivität.

Zu allem gibt es Lis­ten und Anhän­ge über Stoff­grup­pen und Maß­nah­men. In eini­gen Fra­gen konn­ten sich die Exper­ten vor­ab nicht eini­gen, sie blei­ben den Minis­tern zur Ent­schei­dung vor­be­hal­ten. Die Klä­rung die­ser Punk­te wird die Poli­ti­ker zwei Tage lang beschäf­ti­gen, viel­leicht wird auch noch die eine oder ande­re Arbeits­grup­pe dar­über brü­ten. Und dann wird die Dekla­ra­ti­on ver­kün­det, die Nord­see zwar nicht für geret­tet, aber doch für amt­lich rett­bar erklärt.

Die INK-Dekla­ra­tio­nen sind nicht ver­bind­lich. Sie sind Wil­lens­be­kun­dun­gen, die nie­man­den ver­pflich­ten. Sie sind Kom­pro­miss­pa­pie­re, die zu kri­ti­schen Punk­ten Aus­nah­men oder Gum­mi-Klau­seln ent­hal­ten. Und bis­lang lähmt jeden etwa wil­li­gen Poli­ti­ker der Hin­weis, die Durch­füh­rung beschlos­se­ner Maß­nah­men sei abhän­gig von ihrer „wirt­schaft­li­chen Ver­füg­bar­keit“ – was nichts ande­res bedeu­tet als den Vor­be­halt ‘bevor Du was tust, frag’ erst die Industrie’.

Was sonst von den Beschlüs­sen zu hal­ten ist, dafür gibt es ein pla­ka­ti­ves Bei­spiel. Sowohl auf der zwei­ten INK in Lon­don 1987 als auch bei der drit­ten Run­de in Den Haag 1990 beschlos­sen die Minis­ter mit viel Medi­en-Brim­bo­ri­um, die Mee­res­ein­trä­ge an „gefähr­li­chen Stof­fen“ sowie an Nähr­stof­fen soll­ten bis zum Jah­re 1995 um jeweils fünf­zig Pro­zent ver­rin­gert wer­den. Bemes­sungs­grund­la­ge soll­ten die Ein­trä­ge des Jah­res 1985 sein. Pein­li­cher­wei­se gab es weder damals für die jewei­li­gen Stof­fe gesi­cher­te Daten aus 1985, noch konn­ten die­se bis heu­te, dem „Jahr X“, erstellt wer­den. Eine Unbe­kann­te zu hal­bie­ren, mag in der Alge­bra mög­lich sein, im Umwelt­schutz ist das schlicht Hum­bug. Und den­noch gibt es Poli­ti­ker, die dies­be­züg­lich Erfol­ge vermelden.

Zum Bei­spiel die Ver­tre­ter Deutsch­lands. Anfang 1993 leg­te der dama­li­ge Umwelt­mi­nis­ter Klaus Töp­fer sei­ne Bilanz über die Umset­zung der INK-Beschlüs­se vor: „Die Schad- und Nähr­stoff­ein­trä­ge in die Nord­see kön­nen nach heu­ti­ger Ein­schät­zung bis 1995 in fast allen Berei­chen um die Hälf­te ver­rin­gert wer­den.“ Haus­auf­ga­ben erle­digt? Denks­te! Der ent­spre­chen­de 123-Sei­ten-Bericht der Bun­des­re­gie­rung ent­hält eine Auf­lis­tung, die das Gegen­teil besagt. Eini­gen Nähr­stof­fen etwa wer­den danach Men­gen­min­de­run­gen zwi­schen 17 Pro­zent (Nitra­te aus der Land­wirt­schaft) und 40 Pro­zent (Nitra­te aus indus­tri­el­len Klär­an­la­gen) bis 1995 vor­her­ge­sagt, bei ande­ren „zeich­net sich kurz­fris­tig kei­ne Redu­zie­rung ab“.

Vie­le Details aus Dekla­ra­ti­on und Minis­ter-Geran­gel ent­zie­hen sich einem all­ge­mein-öffent­li­chen Ver­ständ­nis. Mit einem Gemisch aus diplo­ma­ti­schen Flos­keln und wis­sen­schaft­li­chen Begrif­fen wird ver­sucht, Sach­ver­hal­te zu ver­ne­beln oder auch Beschlüs­se als Erfolg zu „ver­kau­fen“, die in Wahr­heit kei­ne sind. Der seit Anbe­ginn aller INKs geführ­te Streit etwa um das „Vor­sorgeprinzip“ gehört dazu: Auch in Esbjerg wird wie­der gestrit­ten wer­den um „Emis­sionsprinzip“ (ver­ein­facht: Mes­sen von Schad­stoff­wir­kun­gen bei Aus­tritt an der Quel­le) und „Immis­si­ons­prin­zip“ (Mes­sen von Schad­stoff­wir­kun­gen nach Ein­tritt ins Meer). Der Streit hat sei eh das For­mat eines Glau­bens­krie­ges (bei­spiels­wei­se „gutes Bonn“ gegen „böses Lon­don“) – und ist doch nur Maß­stab für unter­schied­li­ches wirt­schafts­po­li­ti­sches Denken.

Durch Wirt­schaft­lich­keits-Vor­be­hal­te wie oben beschrie­ben geben die INK-Minis­ter nicht ein­fach das Heft des Han­delns aus der Hand, es gilt viel­mehr das Prin­zip „voraus­eilender Gehor­sam“. Bei Ver­hand­lun­gen um gefähr­li­che Che­mi­ka­li­en sitzt seit INK-Beginn 1984 die Indus­trie-Lob­by mit am Tisch und legt zu gege­be­ner Zeit ihr Veto ein. Die Kapi­tel über Nähr­stof­fe sind im Vor­feld von den jewei­li­gen Agrar­mi­nis­te­ri­en mit geschrie­ben wor­den, im Fische­rei­teil reden die Berufs­ver­bän­de mit, bei Schif­fahrts­fra­gen die Ver­kehrs­res­sorts eben­so wie die IMO, die UN-Schiff­fahrts­or­ga­ni­sa­ti­on. Und oft schiebt die INK die Ver­ant­wor­tung ab an die OSPARCOM, an die Kom­mis­si­on der Kon­ven­tio­nen von Oslo und Paris, die fern­ab jeder Öffent­lich­keit schon seit 1972 mit Mee­res­ver­schmut­zungs-Fra­gen befasst ist.

Aber das Instru­ment INK ist auch blind gegen­über rea­len Zusam­men­hän­gen und Ver­net­zun­gen. Man redet über Emis­sio­nen etwa des Stra­ßen­ver­kehrs oder gewis­ser Indus­trien als Ursa­che „nord­see-rele­van­ter“ Luft­ver­schmut­zung, aber nicht über ver­kehrs­po­li­ti­sche Kon­zep­te oder Ein­grif­fe in bestimm­te Pro­duk­ti­ons­wei­sen. Man dis­ku­tiert über Off­shore-Tech­nik, Öl- und Gas­för­de­rung aus dem Meer, über radio­ak­tiv ver­seuch­te Mee­res­tei­le, aber nicht über Ener­gie- und Atom­po­li­tik. Man redet über Nähr­stof­fe, aber Agrar­po­li­tik ist tabu. Tou­ris­mus oder Küs­ten­struk­tur­po­li­tik, die unbe­streit­bar un­mittelbare Aus­wir­kung auf die Nord­see haben, sind eben­falls kei­ne INK-Themen.

Heh­re Ansprü­che, Auf­wei­chung, Abschie­bung, Aus­klam­me­rung – wem also nützt der INK-„Zirkus“, wie Umwelt­schüt­zer seit je spot­ten? Dass die Ein­rich­tung INK sich mitt­ler­wei­le einen eige­nen inter­na­tio­na­len Appa­rat geschaf­fen hat, mag den legen­dä­ren Herrn Par­kin­son beru­hi­gen, nützt aber dem Meer herz­lich wenig. Somit bleibt unterm Strich nur ein Vor­teil: Durch das minis­te­ri­el­le Geha­be um die INKs ist alle paar Jah­re die Nord­see ein öffent­li­ches The­ma – auch ohne Robben‑, Algen‑, Gift­beu­tel- und Öl-Pesti­len­zen als trau­ri­gem Anlass.

Teil 3 – Weni­ger. Ein­fa­cher. Langsamer.

Bre­men. (um Vor­spann gekürzt)

Wir haben nicht nur eini­ge Feh­ler des Sys­tems zu behe­ben. Das Sys­tem selbst ist der Feh­ler.“ – Die „Leit­ideen“ für die AKN-Kon­fe­renz „Nord­see ist mehr als Meer!“ spre­chen eine deut­li­che Spra­che: Der Zustand der Mee­re, heißt es, sei ein Spie­gel unse­rer gesam­ten Wirt­schafts- und Lebens­wei­se, „die Nord­see ist die Sicker­gru­be der Über­fluss­ge­sell­schaf­ten Nordeuropas.

Die vier­te INK ist nach Ansicht der alter­na­ti­ven Nord­see-Exper­ten „nicht mehr als ein auf­wen­di­ges Polit-Ritu­al“. Umwelt­schutz sei der­zeit abge­scho­ben „aufs Abstell­gleis“, damit die Ent­wick­lung der Stand­or­te Deutsch­land und Euro­pa „im Geis­te des alten Molochs Wachs­tum“ nicht gestört wer­de: „Län­ger­fris­ti­ge Siche­rung von Über­le­bens-Grund­la­gen hier und anders­wo in der Welt scheint den Herr­schen­den nur etwas für wirt­schaft­li­che Schön­wet­ter­pe­ri­oden zu sein“.

Poli­ti­sche Öko­lo­gie, for­dert die AKN, muss mehr sein als tra­di­tio­nel­ler Umwelt­schutz: „Es reicht nicht mehr, an Sym­pto­men her­um­zu­ku­rie­ren.“ Die Bre­mer Tagung soll nicht wie­der Schad­stoff-Belas­tun­gen auf­zäh­len oder „Repa­ra­tür­chen“ dis­ku­tie­ren, Gut­ach­ten gebe es mitt­ler­wei­le mehr als genug. Jeder bis­he­ri­gen INK sei­en Ana­ly­sen und For­de­run­gen auf den Tisch gelegt wor­den, „Papie­re, die dann doch nur wie­der im Lob­by-Gemau­schel untergehen“.

Dies­mal will die AKN ande­re Wege ver­su­chen. Die dies­jäh­ri­ge Nord­see-Kon­fe­renz soll Aus­druck sein der Erkennt­nis, dass die Men­schen in den hoch­in­dus­tria­li­sier­ten Län­dern eine beson­de­re Ver­pflich­tung haben: „Wir tra­gen sozia­le, poli­ti­sche, öko­lo­gi­sche und kul­tu­rel­le Ver­ant­wor­tung nicht nur für eine lebens­wer­te Zukunft hier­zu­lan­de. Wir tra­gen sie noch viel mehr für eine glo­bal gerech­te­re Ver­tei­lung sowohl natür­li­cher als auch von Men­schen erar­bei­te­ter Reich­tü­mer“. Des­halb „wol­len wir der gesell­schaft­li­chen Unlo­gik des ‘sat­ter, schi­cker, schnel­ler’ die For­de­rung und Mah­nung ‘weni­ger, ein­fa­cher, lang­sa­mer’ entgegensetzen.“

Vor allem das Wirt­schafts­sys­tem haben die Umwelt­schüt­zer im Rah­men ihrer Kon­fe­renz­vor­be­rei­tung als Ursa­che vie­len Übels aus­ge­macht: Eine Öko­no­mie, die „ungebro­chen dem ‘immer mehr’, dem Wachs­tum ‘auf Deu­bel komm’ raus’ ver­pflich­tet ist, läuft zwangs­läu­fig allen Prin­zi­pi­en von Natur und Öko­lo­gie zuwi­der.“ Schär­fer noch: „Auch wenn alle Par­tei­en ein­schließ­lich der Grü­nen ande­res behaup­ten: Die­se Öko­no­mie lässt sich mit der Öko­lo­gie nicht versöhnen.“

Das Mot­to „Weni­ger. Ein­fa­cher. Lang­sa­mer.“ soll, so wird betont, dem­ge­gen­über kei­ne Rück­wärts­ent­wick­lung bedeu­ten, son­dern viel­mehr den krea­ti­ven, den muti­gen Ver­zicht auf zer­stö­re­ri­sche For­men gesell­schaft­li­cher Lebens­or­ga­ni­sa­ti­on ein­for­dern. Die wirt­schaft­li­chen, die poli­ti­schen, die tech­ni­schen Struk­tu­ren ver­stel­len in ihrer wach­sen­den Unüber­schau­bar­keit den Weg zu ein­fa­chen Lösun­gen, heißt es. „Was der­art kom­plex und kom­pli­ziert gemacht und gehal­ten wird, ist für den Bür­ger nicht mehr begreif­bar und schon gar nicht kon­trol­lier­bar.“ Die­se Ent­wick­lung schei­ne gewollt: „Die Angst vor Ver­än­de­rung wird geschürt im Inter­es­se von Herr­schaft, Paro­len von ‘wei­ter so’ und ‘Sicher­heit’ wür­gen die Krea­ti­vi­tät ab, die wir brau­chen. Natur heißt nun mal Ver­än­de­rung – auch mit dem Risi­ko, Feh­ler zu machen.“

In Refe­ra­ten und Arbeits­grup­pen wird der Kon­gress sich mit den der­zei­ti­gen For­men unse­res Lebens und Wirt­schaf­tens aus­ein­an­der­set­zen. Was leis­tet Wis­sen­schaft in wes­sen Auf­trag der­zeit auf dem Fel­de des „Natur-Manage­ments“ – und was könn­te sie leis­ten? Was bedeu­tet die „Gefrä­ßig­keit“ unse­rer Gesell­schaft für die Umwelt und die Men­schen in ande­ren Ecken die­ses Glo­bus’? Was kann Tech­nik bei­tra­gen zur öko­lo­gi­schen Ent­wick­lung? Oder ist unser Umgang mit Tech­nik eine der Ursa­chen nicht nur für Mas­sen­ar­beits­lo­sig­keit, son­dern auch für Umwelt­zer­stö­rung? Was kann, was soll der Staat leis­ten im Umwelt­schutz, wie hand­lungs­fä­hig sind Poli­tik und Ver­wal­tung noch gegen­über den Inter­es­sen der Wirt­schaft? Wel­che Bedürf­nis­se gilt es hier und anders­wo zu befrie­di­gen – und wel­che sind künst­lich gemacht, um die „Moloch-Geschwis­ter Kon­sum und Wachs­tum“ zufrie­den­zu­stel­len? Und wel­che Rol­le spie­len Wer­bung und Medi­en in die­sem Spiel? Was bedeu­tet Zeit: Unter­wer­fung des Men­schen unter Maschi­ne und Geld — oder lie­ber Anpas­sung an natür­li­che und sozia­le Rhyth­men, die sich dann die Öko­no­mie im Inter­es­se von Natur und Mensch unterwerfen?

Die Bre­mer Nord­see-Kon­fe­renz der AKN kann und will kei­ne fer­ti­gen Ant­wor­ten oder Rezep­te anbie­ten. Die Ver­an­stal­ter haben, die Auf­zäh­lung von eben deu­tet es an, teil­wei­se bewusst pro­vo­ka­ti­ve Fra­gen for­mu­liert. Der Kon­gress „Nord­see ist mehr als Meer!“ soll die­sen Fra­gen­ka­ta­log ergän­zen, dis­ku­tie­ren, viel­leicht auch abän­dern – „mit ehr­li­chen Ana­ly­sen fängt die Suche nach den rich­ti­gen Ant­wor­ten erst an. Es ist aber wich­tig, dass die­se Suche jetzt beginnt.“

Die AKN ist aus­rich­ten­der Ver­an­stal­ter des Tref­fens, getra­gen aber, unter­stützt, wird die­ses Tref­fen von einem brei­ten Bünd­nis fast aller nam­haf­ten deut­schen Umwelt- und Natur­schutz­or­ga­ni­sa­tio­nen. Von BUND bis WWF, von den Bür­ger­initia­ti­ven bis zu den „Aktio­nis­ten“ von Green­peace und Robin Wood, alle sind dabei. Es ist ein Spek­trum, das typisch ist für die mitt­ler­wei­le schon zehn­jäh­ri­ge Geschich­te des alter­na­ti­ven Nord­see­schut­zes. Aus dem ers­ten der­ar­ti­gen Bünd­nis 1984 bezie­hungs­wei­se aus sei­nen Über­res­ten nach der ers­ten „Aktionskon­ferenz Nord­see“ war bekannt­lich der gleich­na­mi­ge Ver­ein ent­stan­den, der seit­her ent­spre­chen­de Akti­vi­tä­ten koor­di­niert. Was aber kei­nen der ande­ren Ver­bän­de hin­dert, einer­seits eigen­stän­dig Nord­see­schutz-Pro­­jek­te in viel­fäl­tigs­ter Form und teils auch in gegen­sei­ti­ger Kon­kur­renz zu betrei­ben, ande­rer­seits sich immer wie­der zu Bünd­nis­sen wie die­sem bereit­zu­fin­den, auch wenn des­sen poli­ti­sche Aus­sa­gen nicht unbe­dingt „auf Linie“ des jewei­li­gen Ver­ban­des lie­gen. Eine ver­rück­te Situa­ti­on? Bei der AKN sieht man das anders: „Aus der Viel­falt wächst die Kraft.“

– Ende –