Bremens einstiger „Vorzeige-Unternehmer“ Niels Stolberg, Gründer und Eigner der einstigen „Beluga“-Reederei, hat jetzt seine Haftstrafe antreten müssen, zu der er im März 2018 verurteilt worden war – wegen gemeinschaftlichen Kreditbetrugs in 18 Fällen sowie wegen Untreue in besonders schwerem Falle: Eine vergleichsweise komfortable Haftstrafe, denn Stolberg kann schon bald damit rechnen, in den so genannten offenen Vollzug wechseln zu dürfen.
In rund 15 Jahren hatte Stolberg seine „Beluga Shipping“ zum Weltmarktführer der Schwergut- und Projektfracht-Schifffahrt aufgebaut, dabei seine mehr als 70 Schiffe umfassende Flotte allerdings nahezu ausschließlich unter verschiedenen Billigflaggen fahren lassen, die von den Gewerkschaften regelmäßig als ausbeuterisch eingestuft werden. Er inszenierte sich mit Aufsehen erregenden Vorhaben wie einem „klimaschonenden“ Segelhilfsantrieb für mittelgroße Schiffe („Beluga Skysails“) oder Containertransporten über die arktische Nordostpassage. Er ließ sich in der hanseatischen Kaufmannschaft würdigen als Pionier und ebenso wagemutiger wie erfolgreicher Unternehmer. Er war Mäzen des lokalen Bundesliga-Vereins „Werder Bremen“ und predigte unter dem Etikett „Beluga Spirit“ in der Öffentlichkeit die Förderung von Bildung für junge und benachteiligte Menschen, Hilfe für Hilflose und Förderung von Nachhaltigkeit sowie kultureller Identität, Vielfalt und Toleranz. Zwar finanzierte er entsprechende Projekte – beispielsweise für Tsunami-Opfer in Asien – mit reichlichen Spenden, verschwieg aber wohlweislich, dass er einen Teil seines Geldes auch mit dubiosen Rüstungsgeschäften und Waffentransporten in Krisengebiete verdiente. „Vieles deutet daraufhin“, analysierte 2013 Radio-Bremen-Reporter Rainer Kahrs, „dass der BND beteiligt war. Wahrscheinlich hat der BND Stolberg ausgewählt, weil er in der Schifffahrt gut vernetzt war und viele Informationen hatte“.
Stolberg wurde in Bremen und Nordwestdeutschland für sein Tun von Politik und Wirtschaft hofiert und ausgezeichnet – bis er Anfang 2011 aus seinem eigenen Unternehmen gefeuert wurde: Die Finanzkrise 2008 hatte das Schwergutgeschäft nur mäßig tangiert, Stolberg setzte auf weitere Investition und orderte mehrere Dutzend weitere Neubauten. Das Geld dafür erhoffte er sich von externen Investoren, maßgeblich der Private-Equity-Firma „Oaktree Capital“, die er 2010 zu „Beluga“ holte. Die Partnerschaft endete allerdings schnell, denn die Manager der US-amerikanischen „Heuschrecke“ entdeckten finanzielle Unregelmäßigkeiten, warfen Stolberg hinaus – und zerschlugen den „Beluga“-Konzern.
Prozess mit Überraschungen
Und sie schalteten die Staatsanwaltschaft ein. Stolberg und einige seiner Manager wurden nach mehrjährigen und umfangreichen Ermittlungen vor Gericht gestellt. Während die Mitangeklagten mit Bewährungsstrafen glimpflich davon kamen, wurde der Konzernchef zu längerer Haft verurteilt: Das Gericht lastete ihm an, Schiffsverkäufe erfunden, Bilanzen gefälscht und überhöhte Kosten simuliert zu haben. Er hatte insbesondere die Norddeutsche Landesbank (Nord-LB) und die damals noch selbstständige Bremer Landesbank (BLB) mit fingierten Rechnungen und Scheinverträgen über geplante Schiffsneubauten getäuscht, sich Kredite in insgesamt dreistelliger Millionenhöhe verschafft und so die Eigenkapitalquote minimiert. Das von 2016–18 laufende Strafverfahren offenbarte darüber hinaus eine Vielzahl weiterer Tricks von gefälschten Rechnungen und künstlich aufgeblähten Auftragsbüchern. Zwar hatte der Ex-Reeder noch versucht, derartige Finanztricks als „branchenüblich“ zu entschuldigen, das ließ die Strafkammer aber nicht gelten. Auch der Hinweis, dass er sich nie persönlich bereichert habe, sondern nur den Konzern habe retten wollen, half ihm nicht. Nach einem Prozess mit vielen zwischenzeitlichen Überraschungen verurteilte das Landgericht Bremen im März 2018 Niels Stolberg wegen Kreditbetrugs in 18 Fällen, Bilanzfälschung und Untreue in besonders schwerem Fall.
Drei Jahre und sechs Monate lautete das Urteil der Wirtschaftsstrafkammer des Bremer Landgerichts gegen den ehemaligen Reeder – zwar ein Jahr weniger, als die Ankläger es gefordert hatten, aber deutlich zu viel, um zur Bewährung ausgesetzt werden zu können. Es schien der Strafkammer wichtig, gegen Stolberg – ungeachtet einer Erkrankung, die den Strafprozess streckenweise beeinträchtigt hatte – Freiheitsentzug zu verhängen; schließlich hatte sie im Verfahren mehrere Versuche der Verteidigung, ein niedrigeres Strafmaß zu erreichen, zurückgewiesen. Stolbergs Anwälte legten gegen das Urteil Revision ein, allerdings vergeblich. Ende 2019 verwarf der Bundesgerichtshof (BGH) sie als unbegründet, das Urteil wurde rechtskräftig.
Freigänger
Trotzdem dürfte Stolberg, wenn man Berichten der lokalen Medien folgt, nur zwei Wochen lang tatsächlich „hinter Gittern“ sitzen – und das auch nur wegen Corona-Quarantäne. Anschließend winkt ihm offener Vollzug, was nichts anderes bedeutet, als dass er tagsüber die Haftanstalt in Bremen-Oslebshausen als „Freigänger“ verlassen darf. Es hat den deutlichen Anschein, dass er es auf diese Form der Strafverbüßung ebenso bewusst wie geschickt angelegt hat: Anfang dieses Jahres hatte die Bremer Staatsanwaltschaft ihm eine Ladung zum Haftantritt zugestellt – in die Justizvollzugsanstalt Neumünster, weil er bis zur abgelehnten Revision in Schleswig-Holstein gemeldet war. Dann aber kam es anders: Laut „Weser-Kurier“ soll Stolberg sich am Tag nach dem BGH-Urteil nach Bremen umgemeldet haben, „bei der neuen Adresse soll es sich um ein Appartement eines Freundes handeln“, schrieb die Zeitung.
Damit aber war die Freiheitsstrafe nun in Bremen anzutreten. NDR, Radio Bremen und „Weser-Kurier“ sind sich einig, dass der Grund für diesen „Umzug“ in unterschiedlichen Strafvollzugsregeln der fraglichen Bundesländer zu suchen sei. Schleswig-Holstein schickt rechtskräftig Verurteilte prinzipiell in den geschlossenen Vollzug. Ob – und wenn ja, wann – dessen Bedingungen gelockert werden, wird immer nur von Fall zu Fall entschieden. In Bremen hingegen kann, wer eine Freiheitsstrafe von weniger als vier Jahren zu verbüßen hat, diese schon ab Haftantritt als Freigänger antreten.
Hinweis: In der Tageszeitung „junge Welt“ habe ich diverse Berichte zum Stolberg-Prozess veröffentlicht.