Jahr für Jahr pumpt die Bundesregierung dreistellige Millionenbeträge aus Steuergeldern in die deutsche Seeschifffahrt – Fördermittel mit teilweise hohen sozialen Ansprüchen. Tatsächlich aber bilanziert die Gewerkschaft ver.di deutlich: Die Schifffahrtspolitik des Verbands Deutscher Reeder (VDR) und des Bundesverkehrsministeriums (BMVI) ruiniere die Zukunft deutscher Seeleute.
Dem Anspruch der Politik zufolge solle die vielfältige staatliche Förderung deutschen Reedereien den Einsatz hoch qualifizierten Bordpersonals und das Führen der deutschen Flagge im europäischen und globalen Wettbewerb erleichtern. Aber die Umsetzung dieses Anspruchs ist ausgeblieben. Drei Säulen derartiger Reederförderung laufen in diesem Jahr aus, jeweils Ende Mai, Juni und Dezember. In Kraft getreten sind diese Maßnahmen 2016/17, allerdings muss betont werden, dass es auch zuvor bereits andere Subventionierung der Branche gegeben hat. Laut ver.di indes ist die Schifffahrtsförderung des Bundes seit 2016 die höchste, die Reedereien in Deutschland je gewährt wurde.
- Da wäre zunächst der so genannte Lohnsteuereinbehalt zu nennen: Dem Bordpersonal auf Schiffen unter deutscher Flagge wird zwar der volle Lohnsteuersatz von der Heuer abgezogen, aber der Arbeitgeber darf dieses Geld behalten.
- Zweite Säule ist die Erstattung von Lohnnebenkosten – die Reeder bekommen ihre Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung vom Staat zurück, und zwar für Seeleute auf Schiffen unter deutscher ebenso wie unter Flagge eines anderen EU-Landes. Und das, obwohl nach den Kriterien der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) knapp ein Viertel der derzeit 35 als unsozial eingestuften „Billigflaggen“-Staaten EU-Länder sind.
- Dritte Säule schließlich war die Aufweichung der Schiffsbesetzungsverordnung (SchBesVO), nach der seit 2016 nur noch ein bis zwei statt wie bisher vier bis fünf EU-Bürger auf Schiffen unter deutscher Flagge beschäftigt werden müssen.
- Unbefristet hinzu kommen zum einen die deutschen Schiffseignern unabhängig von der geführten Flagge gewährte so genannte Tonnagesteuer, eine pauschalierte Gewinnermittlung, die weit weniger als die realen Profite versteuert.
- Zum anderen darf durchaus auch die „Stiftung Schifffahrtsstandort Deutschland“ in diesem Kontext genannt werden: Diese die Ausbildung deutscher Seeleute fördernde Einrichtung finanziert sich aus Gebühren, die bei Ausflaggung von Schiffen zu entrichten ist – eine geringe Teil-Abschöpfung der Vorteile, die Reeder erzielen, wenn sie zu Billigflaggen wechseln.
Millionen in unklarer Höhe
Es ist nur schwer zu beziffern, was diese Reederförderung die deutschen Steuerzahler insgesamt kostet. Schon 2016 lief eine entsprechende Bundestagsanfrage des damaligen Linken-Abgeordneten Herbert Behrens weitgehend ins Leere. Aktuell liegen zwei Studien vor, in denen BMVI und VDR die genannten drei Säulen „evaluieren“ ließen: Demnach summierten sich die Subventionen allein für Lohnsteuereinbehalt und Lohnnebenkostenförderung von 2016–19 auf durchschnittlich 77 Millionen Euro jährlich. Die Vorteile dank Änderung der SchBesVO werden in beiden Studien nicht untersucht. Und auch die Kosten der Tonnagesteuer, teilweise dreistellige Millionenbeträge, sind aktuell ausgeblendet.
Immer wieder forderten nicht nur ver.di und ITF, sondern auch maritime Experten, der Staat müsse stärker darauf drängen, dass die subventionierten Reeder als Gegenleistung ihre Ausbildungs- und Beschäftigungsbemühungen verstärken. Das Gegenteil ist der Fall: Laut Angaben von ver.di schrumpfte die Anzahl deutscher Seeleute zwischen 2016 und Ende 2019 um fast 1000 auf nur noch 5554; die Gesamtzahl der Auszubildenden über alle Qualifikationsstufen nahm von 633 Anfang 2016 auf 165 Ende 2019 ab.
Die Gewerkschaft ver.di ist der Ansicht, dass diese Zahlen, auch unter Berücksichtigung einer geschrumpften Handelsflotte, eines klar belegen: Die Ziele der Förderung – Steigerung der Tonnage unter deutscher Flagge sowie sichere und zukunftsfähige Beschäftigung und Ausbildung – seien eindeutig nicht erreicht worden. Dennoch befürworten beide Studien eine Verlängerung der Reeder-Förderung über 2021 hinaus, der Bundesfinanzminister bereitet entsprechende Maßnahmen bereits vor.
„Schifffahrt ist nur möglich, wenn wir … nicht … nur Vorteile für uns selbst suchen“ – so lautet, etwas verkürzt, ein Zitat von VDR-Präsident Alfred Hartmann aus dem aktuellen Editorial der Verbandszeitschrift „Deutsche Seeschifffahrt“. – Berücksichtigt man die von ver.di vorgelegten Zahlen und die beiden genannten Evaluierungs-Studien, so muten derart hehre Worte makaber an.
Eine ähnliche (kürzere) Version dieses Textes ist auch in der Tageszeitung „junge Welt“ erschienen.