Von Emden bis Sylt, von Flensburg bis Stralsund – in den Küstenländern wird massiv investiert in die Offshore-Windkraft (OWK) auf Nord- und Ostsee. Hier werden ehemalige Werften zu Produktionszentren umgerüstet, dort frisch aus dem Boden gestampfte mit neuen Häfen und Umschlagsanlagen komplettiert: Errichtung, Vernetzung, Betrieb und Wartung von ausgedehnten „Parks“ mit gigantischen Rotoren auf hoher See gelten derzeit an allen Küsten als Aufschwungs-Motor, weil der OWK das Image „umweltfreundlich“ anhaftet. Aber eben daran gibt es ernste Zweifel.
Aktuell sind in der deutschen Nordsee ein Offshore-Testfeld in Betrieb, ein Windpark im Bau und 21 weitere genehmigt, 55 sind beantragt. Zuständig für die Genehmigung von Windenergieanlagen (WEA) in der so genannten Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) ist das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg. In der deutschen Ostsee sind ein Park in Betrieb, zwei weitere genehmigt und 14 beantragt.
Die bisher installierte Leistung beträgt knapp 170 Megawatt, erteilte Genehmigungen summieren sich auf knapp 24 Gigawatt, die laufenden Anträge auf weitere 30 Gigawatt. Nach den Plänen der Bundesregierung sollen bis 2020 zehn Gigawatt Leistung installiert sein, bis 2030 sind 25 Gigawatt angestrebt. Das sind sehr ambitionierte Zielsetzungen, denn die OWK ist von erheblichen Schwierigkeiten begleitet. Küsten- und Hafenentfernung, Wassertiefe oder unkalkulierbare Wetterbedingungen können Zeitpläne über den Haufen werfen; schon heute hinken die ursprünglichen Offshore-Pläne um einige Jahre hinterher.
Das hat – neben technischen oder klimatischen Gründen – auch finanzielle Ursachen. Zwar erhalten Investoren nach dem „Erneuerbare-Energien-Gesetz“ überdurchschnittlich lange und hohe Anfangsvergütungen, die mit zunehmender Küstenentfernung und Wassertiefe gestaffelt steigen; zwar hält die Politik gerne Beihilfen bereit, wie etwa beim „alpha-ventus“-Feld vor Borkum, für das die EU-Kommission mal eben 30 Millionen Euro genehmigte. Dennoch sind diese riesigen Anlagenfelder mit gigantischen Rotoren ohne erhebliche Finanzmittel der Investoren nicht zu errichten – und das bedeutet: Kredite.
Unschuld verloren
Die aber sind schwer zu bekommen. Nicht nur in Folge der jüngsten Weltwirtschaftskrise, auch wegen technischer und logistischer Probleme halten viele Banken Offshore-Windkraft für ein höchst riskantes Unterfangen – und folglich ihr Geld zurück. Zudem schrauben Versicherer nach Pannen im Ausland und wetterbedingten Verzögerungen ihre Prämien in die Höhe. Mehrfach mussten Investoren bereits Pläne stornieren oder gar Lizenzen verkaufen, um Insolvenz zu vermeiden. Die Fachzeitschrift „segeln“ schrieb angesichts des Einstiegs von Energiemultis wie E.ON, Vattenfall oder RWE, „spätestens mit dem Schritt hinaus aufs Meer (seien) die Tage der Windkraft als unschuldige Energieform“ gezählt.
Ohne hier allgemein die Rolle der mit der Politik seit langem lobbyistisch verbandelten Energieriesen zu untersuchen: Sie haben heute die OWK-Entwicklung fest im Griff, nicht zuletzt dank eines eng gestrickten Netzwerks aus Stíftungen, Vereinen und Agenturen, an dem neben den Konzernen und einschlägigen Firmen auch Forschungseinrichtungen sowie Landes- und Lokalpolitiker beteiligt sind; letztere wechseln nach Mandatsende dann gerne mal ins Management. Bremerhaven, Husum, Rostock und andere Standorte erfreuen sich nicht nur erheblicher, steuersubventionierter Investitionen in Produktions- und Hafenanlagen, sondern auch immer wieder gut besuchter Messen und Konferenzen zur gegenseitigen Kontaktpflege.
Kein Wunder, dass angesichts so vieler mit dem Image hoher Kompetenz behafteter Netzwerker regionale Medien oft vorschnelle Loblieder singen und die realen Risiken der Entwicklung verschweigen. Hierzu zählen einerseits die bereits angerissenen technischen Probleme, aber auch die ungeklärten Fragen der Netzeinspeisung und ‑weiterleitung von OWK-Strom ins Binnenland samt der dafür erforderlichen, aber höchst umstrittenen neuen Leitungstrassen. Nicht nur die Anbindung verlangt indes hohe Investitionen, auch die Logistik für den Windparkbau – Strassen, Kajen, Spezialschiffe, gesondert geschultes Personal – ist teuer; die anschließende Wartung braucht Spezialkräfte mit geeigneter Infrastruktur und schnellen Eingreifmöglichkeiten, denn jeder Ausfall eines der riesigen Rotoren ist doppelt teuer: Die Bilanz leidet ebenso wie der Ruf.
Ruf nach fairer Beschäftigung
Das Image der OWK als Jobmotor trägt übrigens bereits tiefe Kratzer, denn die finanziell knappen Investoren sparen auf dem Rücken der Arbeitnehmer: Die IG Metall Küste wettert scharf gegen das Ausufern von Billigjobs und Leiharbeit, gegen fehlende Tarifverträge und undurchsichtige Arbeitsbedingungen in der Windkraftbranche. Der Staat, so die Forderung, müsse seine Subventionspolitik abhängig machen von fairen Beschäftigungsverhältnissen.
Zu den sozialen kommen die ökologischen Probleme: Bremerhaven plant seinen Offshore-Hafen neben einem Naturschutzgebiet, dessen betreuender Umweltverband nun abwägen muss, ob das Ja zur Windkraftnutzung schwerer wiegen darf als der Vogelschutz nebenan. Das Bundesamt für Naturschutz warnte wiederholt davor, bei Planung und Bau von Windparks Aspekte des Meeressäuger-Schutzes oder des Vogelschlags zu vernachlässigen: Aufwändig wurde untersucht, welchen Risiken Schweinswale durch den Bau von WEA auf See ausgesetzt sind; teure Techniken sollen nun die sensiblen Tiere vor Schalldruck schützen. Rast- und Zugvögel sowie Fledermäuse sind durch „Wälder“ hunderter Rotoren gefährdet, Warnlampen sollen her, sie helfen aber nicht gegen Betriebslärm. Fischereiexperten streiten, ob WEA-Felder eigentlich Bestände schützen oder vertreiben. Empfindliche Biotope am Meeresboden bedürfen einerseits besonderer Erhaltungsmaßnahmen, andererseits können die Fundamente der Rotoren durch Bakterien und Algen von biologischer Korrosion bedroht sein.
Auf dem Meer schließlich können Windparks sowohl Schifffahrt als auch Meeresumwelt gefährden: Ein defekter Mega-Frachter kann im Sturm manövrierunfähig abtreiben, mit „Havariespargeln“ – wie Kritiker die WEA nennen – kollidieren und entweder diese zerstören oder selbst lädiert werden und Ladung wie Öl oder Chemikalien verlieren; folglich braucht es kräftige Notschlepper in ständiger (teurer) Bereitschaft.
All dies – und mehr – sind Risiken und Kosten, die bislang kein Gutachten zur Offshore-Windkraft berücksichtigt hat. Eine Auftragsstudie der Branche präsentierte kürzlich zwar für „alpha ventus“ eine positive „Ökobilanz“, hatte die Untersuchung der Stoff- und Energieflüsse aber auf den Klima-Faktor „CO2“ beschränkt. Zu prüfen wäre statt dessen, ob eigentlich Umwelt- oder Naturschäden und ‑risiken durch Bau, Betrieb und Entsorgung einer WEA auf dem Meer einschließlich Rohstoff‑, Logistik‑, Infrastruktur- und Sicherheitsaufwand in irgendeinem akzeptablen Verhältnis stehen zur Menge des von ihr produzierten Stroms. Nur so wäre zu klären, ob Offshore-Windstrom eigentlich das Prädikat „ökologisch“ verdient.
Dieser Beitrag erschien unter anderem in der Tageszeitung „junge Welt“ vom 11. August 2011