Imperialismus auf den Weltmeeren

Wer heu­te über Impe­ria­lis­mus redet – egal ob his­to­risch oder tages­ak­tu­ell –, kommt an der glo­ba­len Mee­respo­li­tik nicht vor­bei. Nicht nur rund 150 nationalstaatliche
Küs­ten­mee­re, son­dern auch und gera­de die Ozea­ne „dazwi­schen“ gewin­nen zuneh­mend an Bedeu­tung – wegen der längst mas­siv indus­tria­li­sier­ten Fische­rei eben­so wie wegen der Gier nach den Res­sour­cen des Mee­res­bo­dens – von Öl und Gas bis zu den Rohstoffen der Tief­see. Anläss­lich des 100. Jah­res­ta­ges von Wla­di­mir Iljitsch Lenins Stu­die „Der Impe­ria­lis­mus als höchs­tes Sta­di­um des Kapi­ta­lis­mus“ habe ich für die Tages­zei­tung „jun­ge Welt“ eine län­ge­re Betrach­tung ver­fasst über den Kampf um die Aus­beu­tung der Mee­re und Ozea­ne seit der Wen­de zum 20. Jahr­hun­dert. Damals habe sich neben und im Zusam­men­hang mit der öko­no­mi­schen auch die ter­ri­to­ria­le Auf­tei­lung der Welt zuge­spitzt – so for­mu­liert Lenin es sinn­ge­mäß in sei­ner Über­lei­tung zum sechs­ten Kapi­tel sei­ner Impe­ria­lis­mus­stu­die über die Kolo­ni­al­po­li­tik. Unter Bezug­nah­me auf den öster­rei­chi­schen Geo­gra­phen Alex­an­der Supan erwei­tert er des­sen Schluss­fol­ge­run­gen über die Ent­wick­lung der euro­päi­schen Kolonial­mächte – übri­gens unter Ein­rech­nung der USA – mit den Wor­ten, »das Cha­rak­te­ris­ti­sche die­ser Peri­ode (sei) die end­gül­ti­ge Auf­tei­lung der Erde«.

Die »Kolo­ni­al­po­li­tik der kapi­ta­lis­ti­schen Län­der (habe) die Besitz­ergrei­fung unbe­setz­ter Län­der auf unse­rem Pla­ne­ten been­det« – die­se For­mu­lie­rung Lenins schließt die nach dama­li­ger Kennt­nis rele­van­ten ozea­ni­schen Gebie­te mit ein, auch wenn er dies selbst so nicht erwähnt: Denn Supan, auf den Lenin sich bezieht, hat­te unter ande­rem die pazi­fi­schen Kolo­nien Groß­bri­tan­ni­ens, des Deut­schen Reichs, der Nie­der­lan­de und Frank­reichs aus­drück­lich in sei­ne Betrach­tung mit ein­be­zo­gen. Und als ob Lenin das Ergeb­nis des Welt­kriegs bereits vor­aus­ge­ahnt hät­te, mit dem das Deut­sche Reich sämt­li­che Kolo­nien ver­lor, erläu­ter­te er die For­mel von der »end­gül­ti­gen Auf­tei­lung« nach­drück­lich so: »End­gül­tig nicht in dem Sin­ne, dass eine Neu­auf­tei­lung unmög­lich wäre – im Gegen­teil, Neu­auf­tei­lun­gen sind mög­lich und unver­meid­lich», näm­lich im Sin­ne des Über­gangs von einem »Besit­zer« auf den ande­ren; ein­zig die »Besitz­ergrei­fung her­ren­lo­sen Lan­des« sei abgeschlossen.

Aber wie »her­ren­los« war oder ist das Meer?